Herausragende Demonstrationslagen in Bremerhaven

Demonstrationen mit 30.000 Teilnehmern und 6.000 Polizeibeamten? Klar, die gibt’s! Auch in Bremerhaven? Ja, aber das ist schon lange her. Einige von Ihnen können sich sicher noch daran erinnern. Mehr dazu später…

Die „Fridays for Future“-Demo am 20. September 2019 hat bewiesen, dass auch in Bremerhaven nach wie vor Versammlungen in einer Größenordnung von mehreren tausend Demonstranten möglich sind.

Demonstrationen sind elementar für eine Demokratie. Die Demonstranten nehmen ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wahr. Die polizeiliche Aufgabe besteht darin, die Wahrnehmung dieses Grundrechtes für alle zu gewährleisten. Dabei können sich Versammlungen für die Polizei zu einer herausfordernden Angelegenheit entwickeln: Die Stimmung ist aufgeheizt. Die Teilnehmer sind häufig unzufrieden. Oftmals entwickeln sich zwei Fronten. Nicht selten werden dann die eingesetzten Polizeikräfte zum Feindbild.
Unabhängig von der persönlichen Einstellung müssen die Polizistinnen und Polizisten ihre beamtenrechtliche Neutralitätspflicht wahren. Ihr Einsatz ist als der eines „unparteiischen Schiedsrichters“ zu sehen, dessen Aufgabe darin besteht, für die Sicherheit der Versammlung sowie der Bevölkerung zu sorgen. Somit wird durch die Polizei nicht eine bestimmte Personengruppe oder eine bestimmte Weltanschauung geschützt, sondern die Wahrnehmung der Versammlungs- und Meinungsfreiheit als wichtige Grundpfeiler unseres Rechtsstaates garantiert.

Heute stellen wir Ihnen drei herausragende Demonstrationslagen aus den letzten Jahrzehnten vor, die aufgrund ihrer Größe, Außenwirkung oder politischen Brisanz auch zu einem Teil der Geschichte der Ortspolizeibehörde Bremerhaven geworden sind.

Die Hafenblockade in Bremerhaven durch die Friedensbewegung im Jahr 1983 – „Heißer Herbst“

Vom „Gleichgewicht des Schreckens“ zum Atomkrieg
Am 12. Dezember 1979 beschloss der NATO-Rat die Stationierung von 108 neuen US-amerikanischen Mittelstreckenraketen vom Typ „Pershing 2“ ab Herbst 1983 in der Bundesrepublik Deutschland.
Damit wechselte die USA in ihrer Rüstungspolitik von einem „Gleichgewicht des Schreckens“ zwischen den Atommächten USA und Sowjetunion zu der Möglichkeit, einen Atomkrieg offensiv führen und auf das Territorium Europas begrenzen zu können.
Zunehmend verlor diese Politik ihre Glaubwürdigkeit bei großen Teilen der Bevölkerung. Man sprach in der Friedensbewegung vom Plan „Euroshima“ in Erinnerung an den ersten Atombombenabwurf in der Geschichte der Menschheit auf Hiroshima in Japan im Jahr 1945.
Der Widerstand in der Bevölkerung wuchs. Der US-amerikanische Präsident Jimmy Carter plante den Bau einer Neutronenbombe, mit der Fähigkeit Menschen zu töten und Material zu verschonen.

Die deutsche Friedensbewegung
Die Forderung nach Stationierung neuer Atomraketen in Deutschland wurde durch die Bundesregierung mitgetragen. Dadurch wuchsen der Widerstand und der Protest insbesondere unter den Jugendlichen und Studierenden. Es entstand die größte Friedensbewegung nach dem 2. Weltkrieg in Westdeutschland.
Nach dem NATO-Beschluss nahmen die warnenden Stimmen vor der Umsetzung dieser Entscheidung sowohl in den USA selber wie auch in Europa und in Deutschland zu.
Die Rüstungspolitik der westlichen Staaten Europas und der USA geriet in die Krise und verlor an Akzeptanz in der Bevölkerung. 75% der Bundesbürger lehnten die Pläne zur Raketenstationierung ab.

Die Hafenblockade in Bremerhaven
30.000 Menschen kamen vom 13. bis 15. Oktober 1983 nach Bremerhaven, um aus Protest gegen die Raketenstationierung drei Tage lang die Zufahrten zum Hafen zu blockieren. LKW und Eisenbahnzüge mit Umschlagsgütern sollten weder in den Hafen hinein, noch aus diesem heraus gelangen können. Am letzten Tag fanden zwei Großdemonstrationen im Überseehafengebiet statt. Es war die größte Protestaktion in Bremerhaven nach dem 2. Weltkrieg.

Die Friedensbewegung wollte in Bremerhaven mit der Hafenblockade eine offensivere Form des Widerstands ausprobieren. Die Sitzblockaden von hunderten von Menschen auf den Zufahrtsstraßen zum Hafen über drei Tage hinweg war eine logistische Meisterleistung, die vorher in vielen Trainingscamps von der Friedensbewegung trainiert wurde. Die Organisatoren der Friedensbewegung, die Bremerhavener Initiative für Frieden und Abrüstung (BIFA), hatte sich dabei zur Aufgabe gestellt, den Protest sogenannter „Autonomer Gruppen“ in friedliche Bahnen zu lenken und ein Abgleiten in Gewalt und Kriminalität zu verhindern.

Aus polizeilicher Sicht verlief die Demonstration weitestgehend friedlich. Mit eigenen Kräften wäre die Bewältigung dieser Lage trotzdem nicht möglich gewesen. Nur durch die bundesweite Unterstützung anderer Polizeien konnte der schwarze Block der Autonomen separiert und die Straßen wieder freigemacht werden.

Die neuen Pershing 2 – Raketen wurden trotz der vielfältigen und jahrelangen Proteste der Friedensbewegung und gegen die Mehrheit des deutschen Volkes ab dem Herbst 1983 in Westdeutschland stationiert. Nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten wurden die Atomraketen 1990 wieder abgezogen.

Blinkaffäre – Polizei in schwieriger Lage

Am 05. August 1954 berichtete die Nordsee-Zeitung über einen Dienst, den viele Polizeibeamte nur ungerne antraten, da ihnen eine große Gruppe von Anwohnern vom Blink mit Mistforken und Bohnenstangen entgegentraten.

Der Widerstand der Anwohner entwickelte sich in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg. Bremerhaven war zum Ende des Krieges von englischen Truppen besetzt und wurde am 12. Mai 1945 an die Amerikaner übergeben. Die Hafenanlagen und Kasernen waren zu dieser Zeit nahezu unbeschädigt, sodass die Amerikaner Bremerhaven als Nachschubhafen nutzen wollten. 15.000 Amerikaner waren vor Ort stationiert und lebten in den Kasernen und in 600 beschlagnahmten Wohnungen.

Da die Amerikaner länger in Bremerhaven verweilen sollten, musste neuer Wohnraum für die nachziehenden Familien geschaffen werden. 1952 wurde der Bau einer Siedlung im Bereich „Am Blink/ Am Engenmoor“ beschlossen. 230 Grundstückseigentümer mit 21 Wohnhäusern und 15 feste Gartenlauben waren von den Planungsmaßnahmen betroffen.

Die Betroffenen wurden nicht über die geplanten Baumaßnahmen informiert. Auch der Bremerhavener Magistrat, der in die Maßnahmen involviert war, informierte die Anwohner nicht, so dass diese im Mai 1954 überraschend ein Einschreiben des Besatzungskostenamtes erhielten. Die sofortige Beschlagnahme der Grundstücke und eine unverzügliche Räumung waren die Kernaussage des Schreibens.

Die Hälfte der Eigentümer wollte ihre Grundstücke nicht freiwillig verkaufen bzw. waren nicht mit der Höhe der Entschädigung einverstanden. Politiker Bremerhavens versuchten eine akzeptable und überzeugende Lösung für die „Verkaufsunwilligen“ zu schaffen. Dennoch baute sich bei einigen Familien massiver Widerstand auf und es wurden keine Baumaßnahmen zugelassen. Angestachelt wurde der Widerstand durch Mitglieder der Kommunistischen Partei Deutschland (KPD).

Eine von Politikern und der KPD organisierte Versammlung der Betroffenen mit ca. 1.200 Teilnehmenden förderte die Unruhen. Der Magistrat schlichtete die Unruhen, indem den Betroffenen Ersatzwohnungen und großzügige Entschädigungen zugesprochen wurden. Dennoch blieben im Juli weiterhin wenige Familien resistent.

Am 10. Juli, dem angekündigten Räumungstermin, warteten die restlichen Anwohner vergebens auf die Baufirmen. Diese weigerten sich, aus Angst vor großem Widerstand der Anwohner, ohne Polizeiunterstützung mit den Maßnahmen zu beginnen. Der Bremerhavener Bürgermeister lehnte die Polizeiunterstützung ab. Erst durch den Senat Bremen wurde diese angeordnet.

Am 04. August fand die Absicherung des Zuganges von Sachverständigen auf drei Grundstücken durch die Polizei statt. Dazu war ein größeres Polizeiaufgebot mit zwei Funkstreifenwagen und zwei Einsatzwagen im Einsatz. Die ersten beiden Wertschätzungen verliefen mit minimalem Widerstand. Bei dem dritten Grundstück standen viele Menschen, bewaffnet mit Mistforken und Bohnenstangen, der Polizeikette gegenüber. Eigentümer des Grundstückes war Familie Howind, wobei Albert Howind selbst bis dahin Polizeimeister der Bremerhavener Schutzpolizei war. Es kam zu Wortgefechten und Angriffen durch geworfene Erdklumpen, sodass einige Polizisten sogar ihre Dienstwaffe zogen. Um die Situation zu beruhigen, zog sich die Polizei zurück.

Die Polizeiführung reagierte auf diese Ausschreitungen und zog am Folgetag den gesamten Einsatzdienst der Bremerhavener Polizei mit einer Stärke von 8/144 (8 Beamte gehobener Dienst, 144 Beamte mittlerer Dienst) zusammen. Eine Reserve von 1/35 wurde zusätzlich gebildet. Kräfte der Bereitschaftspolizei Bremen wurden ebenfalls angefordert.

Am 5. August zogen 900 Bremerhavener Werftarbeiter zum Blink und 150 zum Engenmoor um zu protestierten. Wieder waren „Widerständler“ mit Mistgabeln und Stangen bewaffnet. Einige wurden gegenüber den Polizeibeamten gewalttätig, sodass die Polizeiführer die massiv unterlegenen Kräfte aus dem Einsatz abzogen. Dennoch wurden am Folgetag die ersten Baggerarbeiten mit Polizeiabsicherung durchgeführt.

Lediglich die Familien Müller und Howind wehrten sich weiterhin gegen die Maßnahmen. Am 13. Oktober 1954 wurden trotz dessen die Maßnahmen an den beiden Familienhäusern durchgeführt, was zum Aufgeben des Protestes führte. Gegen 18 Widerständler wurden im Zusammenhang mit der Blinkaffäre wegen verschiedenen Straftaten Anzeigen gefertigt.

Damit endete die Blinkaffäre, die schon damals zeigte, dass die Polizei schnell auf Widerstand der Bevölkerung trifft, wenn sie Recht und Gesetz durchsetzen muss.

Nach Fertigstellung der Wohnsiedlung zogen die amerikanischen Familien ein. Mitte 1990 wurden die Amerikaner aus Bremerhaven abgezogen und übergaben die Wohnungen der deutschen Bevölkerung. Die Siedlung „Am Blink“ ist heute eine beliebte Wohngegend.

„Ohne ´Wally´ gibt’s Krawally!“

Von 1976 bis in den Januar 1989 war das Lokal ´Wally´ in der Alten Bürger, Ecke Schleusenstraße, ein beliebter Treffpunkt. Die Gäste tanzten hier nicht nur auf der Tanzfläche, sondern auch auf der Straßenkreuzung. Für den Fahrzeugverkehr war ein Durchkommen auf der Bürgermeister-Smidt-Straße nachts nicht mehr möglich.
Aufgrund der damit verbundenen Lärmbelästigungen waren die im selben Haus befindlichen Wohnungen bald nicht mehr vermietbar. Der Hauseigentümer musste aufgrund der fehlenden Mieteinnahmen das Objekt zur Zwangsversteigerung freigeben.

Der Käufer des Gebäudes entschied sich dazu, den Mietvertrag mit dem Inhaber des ´Wally´ nicht weiter fortzuführen. Stattdessen sollte ein Supermarkt in den unteren Teil des Gebäudes ziehen.

Diese Pläne sorgten für starken Widerstand, insbesondere in der Jugendszene Bremerhavens, aber auch in Parteien diverser politischer Couleur. So setzten sich neben den Jusos und den Grünen auch die Junge Union für den Fortbestand des ´Wally´ ein.

Nachdem die Kneipe in der Nacht vom 05. auf den 06. Januar 1989 zwangsweise geschlossen wurde, kam es zu einer massiven Demonstration. Um zu verhindern, dass Personen unberechtigt die Räumlichkeiten betreten, wurden die Fenster und Türen des Lokals zugemauert.

Doch auch eine massive Steinwand hielt die Demonstranten am folgenden Abend nicht davon ab, sich Zutritt zu verschaffen. Eine Vielzahl stemmte sich gegen die zugemauerte Tür, bis die Mauer nachgab und der Weg in das Objekt frei war.

Es versammelten sich bis zu 1200 Personen vor dem ´Wally´ und setzten sich für das Fortbestehen der Kneipe ein. Da die Stimmung alles andere als friedlich war und es zu Flaschen-, Eier- und sogar Knallkörperbewurf der eingesetzten Beamtinnen und Beamten kam, wurde durch die Bremerhavener Polizei Unterstützung aus Bremen anfordert. So konnte ein massives Polizeiaufgebot für die Einsatzbewältigung zusammengezogen werden.

Dienstältere Kollegen, die diesen Einsatz selbst miterlebt haben, berichten heute noch davon, dass sie von der Aggressivität der Schließungsgegner überrascht und in der Situation völlig überrumpelt gewesen seien.

Die Polizei wurde im Nachhinein für ihr deeskalierendes Einschreiten sowohl gelobt als auch getadelt. Auf der einen Seite wurde das Vorgehen der Polizei als besonnen beschrieben und behauptet, dass aufgrund dessen weitere Eskalationen unterblieben seien. Von anderer Seite wurde jedoch kritisiert, dass die Polizei aufgrund dieses deeskalierenden Einschreitens Plünderungen des ´Wally´ nicht habe verhindern können. Der damalige Direktor der Ortspolizeibehörde Naumann stellte klar, dass das Vorgehen der Polizei auch bei zukünftigen Einsätzen deeskalierend und besonnen sein würde.

Die Proteste hielten über mehrere Wochen an. Obwohl sich auch namenhafte Politiker für den Erhalt des ´Wally´ aussprachen, stand Ende Januar 1989 fest, dass das Lokal in der Bürgermeister-Smidt-Straße 186 endgültig ´gestorben´ war.

Weitere Informationen zu diesen und anderen Einsätzen finden Sie im Polizeimuseum des Polizeifördervereins. Eine ausführliche Abhandlung zur Hafenblockade in Bremerhaven ist in dem Buch „Petting statt Pershing!“ von Dr. Burkhard Hergesell zu finden.